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17. Mai 2023

„Sport ist die gemeinsame Sprache für alle“

Langfassung des Interviews aus den ADB-Nachrichten Mai 2023 mit Murtaza Alizada und Mahmood Alizadeh über die Bedeutung von Sportvereinen für die Migrationsgesellschaft in Brandenburg

 

1. Könnt ihr mir ein wenig über euch erzählen? Wer seid ihr, was macht ihr so und in welchem Sportverein seid ihr aktiv?

Murtaza:

Ich bin Murtaza, 36 Jahre alt und komme aus Afghanistan. Mit fünf Jahren begann ich in meinem Heimatland Fußball zu spielen. Wir hatten keinen Fußballplatz mit Rasen im Dorf, es war ein ganz einfacher Platz mit Erde. Damals sagte ich meinen Eltern, dass ich Fußballer werden möchte. 2016 sind wir nach Deutschland gezogen. Mir fällt es schwer über den Umzug nach Deutschland zu reden, dabei kommen bei mir sehr viele Erinnerungen hoch. In Deutschland begann ich 2016 im Verein SV Herzberg zu spielen und danach bin ich mit meiner Familie nach Forst gezogen.

 

Mahmood:

Ich bin Mahmood und komme aus dem Iran. Seid dreieinhalb Jahren bin ich in Deutschland und lebe in Bad Freienwalde im Landkreis Märkisch-Oberland. Zusammen mit meiner Familie lebe ich in einem Asylheim. Im Iran machte ich einen juristischen Abschluss und studierte Management an der Universität.
Vor 25 Jahren war ich Stürmer in einem internationalen Fußballverein im Iran. Danach hatte ich einen Unfall, wodurch meine rechte Hand behindert wurde. Seitdem kann ich nicht mehr Fußball spielen. In Deutschland konnte ich Fußballtrainer werden. Ich gebe Sportunterricht für Senioren, Kinder und Menschen mit Behinderung. Hauptsächlich trainiere ich die Fußballgruppe Stephanus Kicker in Bad Freienwalde.

 

2. Was hat euch motiviert, einem Sportverein beizutreten beziehungsweise einen zu gründen?

Murtaza:

Als ich mit meiner Familie nach Forst gezogen bin, haben wir ganz schlimme Erfahrungen gemacht. Dort machten sich viele über meine Sprache lustig. Im Juli 2017 ging ich in die Vorbereitung, um einen Fußballverein zu gründen, der Menschen unterstützt, Deutsch zu lernen. Ich habe viele Menschen eingeladen. Es kamen 35 Männer aus unterschiedlichen Nationen. Wir haben den Verein „Forster Löwen“ gemeinsam aufgebaut. Jetzt sind wir ein Verein, der acht Nationalitäten vereint. Es ist ein schwerer und anstrengender Weg gewesen, aber es war ein wichtiger Weg. Auch heute bekomme ich Zuspruch von anderen Mannschaften für die Gründung eines Sport- und Freizeitvereins, der so viele unterschiedliche Nationen integriert. Dadurch werden wir oft zu Freundschaftsspielen eingeladen.

 

3. Wieso ist es aus eurer Sicht wichtig, dass es solche Sportvereine gibt – vor allem in kleineren Orten in Brandenburg?

Murtaza:

Ich machte die Erfahrung, dass ich in deutschen Fußballvereinen zwar angenommen wurde, jedoch durfte ich nie auf dem Feld spielen. Zudem wurde ich von den Mitgliedern ausgrenzt, indem sie mir den Zugang zur Umkleidekabine verweigerten. Ich war gezwungen, mich alleine in einem anderem Raum umzuziehen. Meine Mühen, Kontakte aufzubauen, waren vergeblich. Drei Monate habe ich mich bemüht, von dem Team akzeptiert zu werden, obwohl ich nur Abneigung und Ausgrenzung erfuhr. Als mir bewusst wurde, dass ich nichts ändern kann, wechselte ich in einen anderen Verein. Auch dort wurde ich nicht gänzlich Akzeptiert.

Ich merkte, dass ich als Migrant keine Mannschaft finden werde, in der ich akzeptiert werde. Deswegen gründete ich einen eigenen Sport- und Fußballverein, in dem jeder Menschen willkommen ist – unabhängig von seiner Nationalität. Jetzt können wir als feste Mannschaft mit den deutschen Fußballvereinen auf dem Platz spielen.

Trotzdem wünsche ich mir mehr Integration. Daran arbeite ich derzeit. Mit verschiedenen Vereinen organisiere ich einen Spielertausch. Somit können die Männer aus meinem Verein in andere Mannschaften wechseln, um ihre Fähigkeiten zu erweitern. Jedoch ist der Widerstand der Spieler in den deutschen Vereinen sehr hoch. Wir mussten schon öfter einen Tausch abbrechen. Diese Erfahrungen spornen mich an, mein Ziel weiter zu verfolgen, weil die Integration von Migranten in bestehende Fußballvereine so wichtig ist. Für diese Aufgabe brauchen wir viel Geduld. Weil wir nicht als Teil der Gesellschaft gesehen werden, können wir es uns nicht leisten, ungeduldig oder aufbrausend zu sein.

Mahmood:

Meiner Meinung nach sind Sport und Fußballvereine sehr wichtig in Brandenburg. Zum Beispiel das Brandenburger Projekt „Integration durch Sport“, für das ich an sechs verschiedenen Standorten in Brandenburg arbeite. Alle Personen, die ich dort unterrichte, sind in Deutschland geboren. Da frage ich mich oft, für welche Menschen Integration wichtig ist? Natürlich soll jeder Mensch integriert sein, jedoch ist es für geflüchtete Menschen wirklich relevant, integriert zu werden. Denn wir sind hier fremd, wir kennen eure Kultur nicht, eure Rituale und eure Lebensweisen.

Deswegen habe ich versucht, über verschiedene Organisationen ein gemeinsames Fußballturnier mit Menschen unterschiedlicher Herkunftsländer zu organisieren. Leider ohne Erfolg. Dabei ist Sport eine gemeinsame Sprache für alle. Ich finde, es ist diskriminierend, dass geflüchtete Menschen in Brandenburg kaum Möglichkeiten haben, im Verein Sport zu machen.

Um dem entgegen zu wirken, habe ich nun mit Murtaza ein Fußballturnier für geflüchtete Menschen geplant. Dieses findet während des Zuckerfests in Forst statt. In meiner Unterkunft gibt es zehn Personen, mit denen ich zu dem Turnier fahre. Anfallende Kosten für solche Veranstaltungen werden leider nur selten von den zuständigen Behörden übernommen.

Ich finde es ist sehr wichtig, dass Menschen, aber vor allem Kinder und Frauen, durch Sport in die Gesellschaft integriert werden und das dies von den entsprechenden Organisationen und Behörden organisiert und unterstützt wird.

 

4. Habt ihr Erfahrungen mit Rassismus im Sport gemacht? Ob im Sportverein, durch gegnerische Teams oder von Zuschauenden bei Spielen.

Murtaza:

Zunächst muss ich sagen, dass ich es normal finde, dass Menschen Vorbehalte haben, wenn Menschen aus anderen Ländern hierher ziehen. Das empfinde ich nicht direkt als Rassismus. Aber ich habe auch richtigen Rassismus hier in Forst und in Fußballvereinen erfahren. Z.B. durch einen großen Fußballverein auf Kreisebene, gegen den wir spielen mussten. Dieser Verein ist ganz schlimm. Dort sind alle Zuschauenden, Frauen, Männer rassistisch. Sie wollen nicht, dass Migranten auf den Fußballplatz kommen. Meine Familie und ich bekommen immer böse Worte zu hören. Letztes Mal wurde ich mit einer Bierflasche von einem Spieler bedroht, aber zum Glück kam eine Person dazwischen und ich kam davon. Seitdem spiele ich nicht mehr gegen diese Mannschaft.

Mahmood:

Ich habe leider viel Erfahrung mit Diskriminierung und Rassismus gemacht. Ein Beispiel ist ein Vorfall, der sich vor drei Monaten in Eberswalde bei einem Turnier ereignet hat. Manche Spieler aus den anderen Teams haben mich auf Dari angesprochen. Dari ist ähnlich wie meine Erstsprache Farsi. Ein Spieler aus meiner Mannschaft, der ein sehr rassistischer Jugendlicher ist, immer bei Montagsdemos mitläuft usw., sagte zu mir: „Mahmood, warum sprichst du Arabisch?!“ Als ich ihm sagte, es sei kein Arabisch sondern Persisch, kam: „Scheiß egal, scheiß Ausländer! Du bist gut, aber du sollst nicht andere Sprachen Sprechen!“ Ich habe versucht, ihm zu erklären, dass wir alle gleich sind – alles ist Mensch, unabhängig von Nationalität und Rasse.

Ich bin seit zwei Jahren der beste Trainer in Bad Freienwalde und Märkisch-Oderland. Hier kennen mich alle. Bei einem Turnier in Bad Freienwalde kamen meine Frau und Tochter. Die Mutter des rechten Jugendlichen kam einmal zu mir und fragte mich, ob ich nicht zurück in mein Heimatland gehen will. Ein paar Minuten später sehe ich, dass meine Frau weinend das Turnier verlässt. Später erzählte sie mir, dass die gleiche Frau zu ihr sagte, wir sollen zurück in unser Land gehen. Ihre Begründung war, dass ihr Sohn kein Geld und keine Arbeit habe. Und jetzt würden wir Geflüchtete kommen.

Murtaza:

Was ich gelernt habe ist, dass wir Migranten Geduld haben und selber versuchen müssen, uns zu integrieren. Und vor allem, wir müssen zusammenhalten. Wir können nicht darauf warten, dass die Deutschen sagen „Herzlich Willkommen“.

Mahmood:

Die Frage, ob wir Erfahrung mit Diskriminierung und Rassismus machen, ist überflüssig. Ja, wir machen die ganze Zeit Erfahrungen! Den ganzen Tag. Aber wichtiger ist, welche Lösungen gibt es? Was können wir machen? Die Gesellschaft muss mehr aktiviert werden, Lösungen anzubieten.

Murtaza:

Doch, wir haben Lösungen. Wir haben unsere Vereine gegründet, um einander zu unterstützen und nicht alleine zu sein. Wir organisieren große und kleine Konferenzen, um miteinander zu reden. Alleine können wir nicht viel machen, aber zusammen haben wir Möglichkeiten. Z.B. habe ich schon selber Deutschkurse vorbereitet und angeboten. Wir haben Kinder-, Jugend- und Frauenmannschaften gegründet. Und die ganze Sache funktioniert.

 

5. Welche Pläne oder Ziele habt ihr mit dem Sport? Und was braucht ihr, um sie zu erreichen?

Mahmood:

Mein Ziel ist es natürlich weiter zu arbeiten, Sport zu machen, weiter aktiv zu sein im Sportbund Märkisch-Oderland. Ich habe einen Management Abschluss. Für die Zukunft habe ich den Wunsch, Asylheimleiter zu werden. Ein Heim für Geflüchtete egal aus welchem Land zu verwalten.

Es gibt Menschen, die wegen Rassismus schnell in größere Städte wie Berlin oder so umziehen. Aber für mich ist Märkisch-Oderland mein zweites Heimatland. Ich muss hier bleiben. Ja, ich habe von viel Diskriminierung und Rassismus erzählt. Aber ich habe so viele Freunde hier. Ich arbeite hier. Es gibt so viele Kinder mit Behinderung hier, mit denen ich arbeite.

Murtaza:

Ich wünsche mir, mit meinem Verein in der ganzen Welt sagen zu können, wir brauchen keinen Krieg. Wir wollen in Freiheit zusammenleben. Ich habe das Ziel, eine große Konferenz für Menschen aus Sport und Politik vorzubereiten. Es sollen zwischen 500 und 1.000 Menschen zusammenkommen. Nicht, um viel Geld zu verdienen. Sondern um zusammen zu halten. Dafür brauche ich noch ein wenig Hilfe. Meine Ziele sind Ruhe und gute Zeit zusammen. Ich brauche nie wieder einen Krieg.

Mahmood:

Ich wünsche es mir, dass es in der Zukunft das Wort Flüchtlinge, Geflüchtete usw. nicht mehr geben wird. Grenzen sind nur politische und geografische Linien, die von Politiker:innen gezogen werden. Ich hoffe, dass es in den Herzen aller Menschen keine Grenzen mehr geben wird, sondern Respekt, Liebe, Freundlichkeit, Frieden und Sicherheit.